Gastbeitrag

Mentale Gesundheit im Arztberuf

Zum Tag der mentalen Gesundheit
Louay Sheikh Alard | 9.10.2025 | Lesedauer: 4 Minuten

Am 10. Oktober wird weltweit der Tag der mentalen Gesundheit begangen, ein Anlass, über psychisches Wohlbefinden von ÄrztInnen zu sprechen.

Zum Tag der Mentalen Gesundheit haben wir doctari Arzt Louay Sheikh Alard gebeten, über ein Thema zu schreiben, das ihm am Herzen liegt. Als Psychiater wollte er über die mentale Gesundheit seiner Kolleginnen und Kollegen schreiben, ein Thema, das in der öffentlichen Wahrnehmung oft zu kurz kommt.

Ärzte sind oft besonders gefährdet

Für viele Menschen geht es beim Thema mentale Gesundheit um den Abbau von Stigmata, den Zugang zu Therapie oder den Umgang mit Stress. Doch eine Gruppe bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung oft im Hintergrund: Ärztinnen und Ärzte selbst. Denn paradoxerweise sind gerade diejenigen, die professionell für die Gesundheit anderer verantwortlich sind, besonders gefährdet, ihre eigene mentale Gesundheit aus dem Blick zu verlieren.

Psychiater Louay Sheikh Alard

Die unsichtbare Last

Der ärztliche Beruf bringt eine Vielzahl an Belastungen mit sich, die von außen häufig unterschätzt werden. Lange Arbeitszeiten, Schicht- und Bereitschaftsdienste, hohe Verantwortung bei gleichzeitig knappen Ressourcen – all das fordert einen hohen Tribut.

Studien belegen, dass Ärztinnen und Ärzte überdurchschnittlich häufig psychische Probleme entwickeln. Laut einer Untersuchung der Bundesärztekammer von 2022 zeigte fast jede zweite Klinikärztin, jeder zweite Klinikarzt Symptome eines Burnouts. Internationale Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen: In den USA berichteten 63 Prozent der Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2021 von deutlicher emotionaler Erschöpfung.  Das sind alarmierende Zahlen, die nicht ignoriert werden dürfen.

Die Ursachen dafür sind vielfältig: ständige Konfrontation mit Leid und Tod, steigende Dokumentationspflichten, ökonomischer Druck, Personalmangel und die immer größer werdende Kluft zwischen medizinischem Ideal und realem Alltag. Diese Diskrepanz führt nicht selten zu einem Gefühl permanenter Überforderung.

Viele Kolleginnen und Kollegen tragen diese Last im Stillen. Nach außen gilt es, professionell und unerschütterlich zu wirken. Doch dieses Schweigen hat seinen Preis: Psychische Beschwerden werden verdrängt oder klein geredet, bis sie zu ernsthaften Erkrankungen führen.

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Das Tabu im Kollegenkreis

Während Patientinnen und Patienten heute zunehmend ermutigt werden, offen über psychische Probleme zu sprechen, bleibt dies im ärztlichen Umfeld oft ein Tabuthema. Die Angst, als „schwach“ oder „nicht belastbar“ zu gelten, ist bei Ärzten tief verwurzelt. Hinzu kommt die Sorge vor beruflichen Konsequenzen: Was passiert, wenn bekannt wird, dass ich selbst eine Depression habe?
Muss ich Einschränkungen meiner Approbation fürchten, wenn ich in Behandlung gehe?
Diese Unsicherheit führt dazu, dass viele Ärztinnen und Ärzte viel zu lange warten, bevor sie Hilfe suchen.
Nicht selten greifen Betroffene auf riskante Bewältigungsstrategien zurück, etwa erhöhten Alkoholkonsum oder das eigenmächtige Verschreiben von Psychopharmaka. So bleibt das Problem unsichtbar, während es im Hintergrund größer wird.
Hier ist ein Kulturwandel dringend notwendig. Ärztinnen und Ärzte sind keine Übermenschen. Mentale Gesundheit muss als selbstverständlicher Bestandteil ärztlicher Professionalität verstanden werden, nicht als Schwäche oder Makel.

Wege aus der Stille

Um dieses Tabu zu durchbrechen, braucht es Veränderungen auf mehreren Ebenen:

  1. 1.
    Individuell: Selbstfürsorge darf nicht als Luxus betrachtet werden, sondern ist Voraussetzung, um langfristig arbeitsfähig und empathisch zu bleiben. Regelmäßiger Schlaf, Bewegung, der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen oder auch kurze Achtsamkeitsübungen sind keine Nebensächlichkeiten, sondern wirksame Schutzfaktoren.
  2. 2.
    Kollegial: Peer-Support-Programme oder Supervision helfen, belastende Situationen aufzufangen. Wer schwierige Fälle im Team reflektieren kann, erlebt Entlastung und das Gefühl, nicht allein mit seiner Last zu sein.
  3. 3.
    Institutionell: Kliniken und Praxen müssen Rahmenbedingungen schaffen, die die mentale Gesundheit fördern. Dazu gehören verlässliche Dienstpläne, funktionierende Vertretungssysteme, eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit und der Zugang zu vertraulichen, niedrigschwelligen Unterstützungsangeboten.

Einige Länder haben hier Vorarbeit geleistet. In den USA und Kanada gibt es sogenannte Physician Health Programs, die anonym und unkompliziert psychologische Hilfe für Ärztinnen und Ärzte bieten. Auch in Deutschland existieren mittlerweile ärztliche Hilfsnetzwerke und vertrauliche Hotline-Angebote, die weiter ausgebaut und bekannter gemacht werden müssen.

Fazit und Appell

Der Tag der mentalen Gesundheit erinnert uns daran, dass psychisches Wohlbefinden kein Luxus, sondern eine Grundvoraussetzung für ein gesundes Leben ist. Für Ärztinnen und Ärzte gilt das in besonderem Maße – nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen Kontext.
Wer dauerhaft unter Druck steht und die eigenen Grenzen ignoriert, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch die Qualität der Patientenversorgung. Es ist daher höchste Zeit, im ärztlichen Umfeld offener über psychische Belastungen zu sprechen. Hilfesuchen darf nicht als Schwäche gelten, sondern muss als Ausdruck von Professionalität verstanden werden. Denn letztlich gilt: Nur wer sich selbst schützt, kann andere langfristig schützen.

Titelbild: iStock.com/ThitareeSarmkasat

Autor

Louay Sheikh Alard

Louay Sheikh Alard ist Assistenzarzt in der Psychiatrie und arbeitet seit mehreren Jahren für doctari in der Zeitarbeit.

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