Psychiater Louay Sheikh Alard
Der ärztliche Beruf bringt eine Vielzahl an Belastungen mit sich, die von außen häufig unterschätzt werden. Lange Arbeitszeiten, Schicht- und Bereitschaftsdienste, hohe Verantwortung bei gleichzeitig knappen Ressourcen – all das fordert einen hohen Tribut.
Studien belegen, dass Ärztinnen und Ärzte überdurchschnittlich häufig psychische Probleme entwickeln. Laut einer Untersuchung der Bundesärztekammer von 2022 zeigte fast jede zweite Klinikärztin, jeder zweite Klinikarzt Symptome eines Burnouts. Internationale Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen: In den USA berichteten 63 Prozent der Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2021 von deutlicher emotionaler Erschöpfung. Das sind alarmierende Zahlen, die nicht ignoriert werden dürfen.
Die Ursachen dafür sind vielfältig: ständige Konfrontation mit Leid und Tod, steigende Dokumentationspflichten, ökonomischer Druck, Personalmangel und die immer größer werdende Kluft zwischen medizinischem Ideal und realem Alltag. Diese Diskrepanz führt nicht selten zu einem Gefühl permanenter Überforderung.
Viele Kolleginnen und Kollegen tragen diese Last im Stillen. Nach außen gilt es, professionell und unerschütterlich zu wirken. Doch dieses Schweigen hat seinen Preis: Psychische Beschwerden werden verdrängt oder klein geredet, bis sie zu ernsthaften Erkrankungen führen.
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Während Patientinnen und Patienten heute zunehmend ermutigt werden, offen über psychische Probleme zu sprechen, bleibt dies im ärztlichen Umfeld oft ein Tabuthema. Die Angst, als „schwach“ oder „nicht belastbar“ zu gelten, ist bei Ärzten tief verwurzelt. Hinzu kommt die Sorge vor beruflichen Konsequenzen: Was passiert, wenn bekannt wird, dass ich selbst eine Depression habe?
Muss ich Einschränkungen meiner Approbation fürchten, wenn ich in Behandlung gehe?
Diese Unsicherheit führt dazu, dass viele Ärztinnen und Ärzte viel zu lange warten, bevor sie Hilfe suchen.
Nicht selten greifen Betroffene auf riskante Bewältigungsstrategien zurück, etwa erhöhten Alkoholkonsum oder das eigenmächtige Verschreiben von Psychopharmaka. So bleibt das Problem unsichtbar, während es im Hintergrund größer wird.
Hier ist ein Kulturwandel dringend notwendig. Ärztinnen und Ärzte sind keine Übermenschen. Mentale Gesundheit muss als selbstverständlicher Bestandteil ärztlicher Professionalität verstanden werden, nicht als Schwäche oder Makel.
Um dieses Tabu zu durchbrechen, braucht es Veränderungen auf mehreren Ebenen:
Einige Länder haben hier Vorarbeit geleistet. In den USA und Kanada gibt es sogenannte Physician Health Programs, die anonym und unkompliziert psychologische Hilfe für Ärztinnen und Ärzte bieten. Auch in Deutschland existieren mittlerweile ärztliche Hilfsnetzwerke und vertrauliche Hotline-Angebote, die weiter ausgebaut und bekannter gemacht werden müssen.
Der Tag der mentalen Gesundheit erinnert uns daran, dass psychisches Wohlbefinden kein Luxus, sondern eine Grundvoraussetzung für ein gesundes Leben ist. Für Ärztinnen und Ärzte gilt das in besonderem Maße – nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen Kontext.
Wer dauerhaft unter Druck steht und die eigenen Grenzen ignoriert, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch die Qualität der Patientenversorgung. Es ist daher höchste Zeit, im ärztlichen Umfeld offener über psychische Belastungen zu sprechen. Hilfesuchen darf nicht als Schwäche gelten, sondern muss als Ausdruck von Professionalität verstanden werden. Denn letztlich gilt: Nur wer sich selbst schützt, kann andere langfristig schützen.
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Louay Sheikh Alard ist Assistenzarzt in der Psychiatrie und arbeitet seit mehreren Jahren für doctari in der Zeitarbeit.
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