Erfahrungsbericht

Interview: Traumatische Ereignisse im Arztberuf

Der Arzt schaut auf die linke Seite
Karin Greeck | 9.9.2025 | Lesedauer: 3 Minuten

Belastungsgrenze überschritten? Dr. Marcel von Rauchhaupt erklärt, wann Erlebnisse zu viel werden und welche Schritte zur Heilung führen können.

Nicht selten kommt es im Klinikalltag zu Erlebnissen, die jenseits der persönlichen Belastungsgrenze liegen. Aber wann ist zu viel zu viel und wie kann Heilung funktionieren? Psychiater Dr. Marcel von Rauchhaupt spricht mit uns über eine sehr persönliche Erfahrung.

Stress und traumatische Ereignisse sind Teil des Klinikalltags. Woran erkenne ich, dass es zu viel ist?
Es gibt klare Warnsignale, dass Stress in eine psychische Erkrankung kippt. Diese sollte man sehr ernst nehmen. Dazu gehören dauerhafte Schlaflosigkeit oder quälende Alpträume, häufige Flashbacks oder aufdrängende Erinnerungen, eine spürbare Gereiztheit, emotionale Taubheit oder ein ständiges Gefühl von Überforderung. Auch der Rückzug von Familie und KollegInnen, Konzentrationsprobleme oder das Empfinden, neben sich zu stehen, sind Alarmsignale. Ebenso können körperliche Symptome ohne organische Ursache ein Hinweis sein, dass die Seele leidet. Wer mehrere dieser Anzeichen über Wochen bei sich bemerkt, sollte unbedingt darüber sprechen und sich professionelle Hilfe holen.

Hast du so etwas selbst schon einmal erlebt?
Ja. Ich erinnere mich noch gut an eine Situation, in der mir ein Patient im Dienst plötzlich ins Gesicht schlug. Der Schlag war so heftig, dass mein Kiefer angebrochen war. In den ersten Tagen danach ging es mir psychisch überhaupt nicht gut – ich war wütend, verunsichert und hatte immer wieder diese Szene vor Augen.

"Was mir damals enorm geholfen hat, war das Reden. Mit KollegInnen, die mich ernst genommen haben, die zugehört haben, ohne zu urteilen. "

Dr. Marcel von Rauchhaupt, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Wie hast du das verarbeitet?
Was mir damals enorm geholfen hat, war das Reden. Mit KollegInnen, die mich ernst genommen haben, die zugehört haben, ohne zu urteilen. Und dann kam ein entscheidender Moment – das tiefe Realisieren, dass ich keine Schuld an dieser Situation hatte. Der Patient war krank, ich konnte sein Verhalten nicht kontrollieren, egal wie professionell ich gehandelt habe. Diese Erkenntnis hat eine Art radikale Akzeptanz in mir ausgelöst – die Akzeptanz, dass es Situationen gibt, die ich nicht ändern kann, die ich aber innerlich loslassen darf.

Welche Folgen kann es haben, wenn ein belastendes Ereignis nicht verarbeitet wird?
Die Folgen sind breit gefächert. Kurzfristig sieht man oft Schlafstörungen, Gereiztheit, Erschöpfung. Manche erleben körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Herzrasen oder Magenprobleme. Wenn das chronisch wird, können ernsthafte psychische Erkrankungen entstehen: Depressionen, Angststörungen, Burnout oder eben eine posttraumatische Belastungsstörung. Im Arbeitsalltag zeigt sich, man wird zynischer, stumpft ab, meidet bestimmte Tätigkeiten oder Orte. Privat führt es nicht selten zu Rückzug, Konflikten oder dem Gefühl, „nicht mehr man selbst“ zu sein.

Eine junge Frau legt ihren Kopf in die Hände

Nach einem belastenden Ereignis hilft Austausch mit anderen, um es leichter zu verarbeiten

Wie können sich ÄrztInnen und Pflegekräfte im Alltag schützen?
Es gibt kein Patentrezept, aber viele hilfreiche Bausteine, die sich in der Praxis bewährt haben. Besonders wichtig ist das Reden, der offene Austausch mit KollegInnen, Teamsitzungen, Supervisionen oder Balintgruppen. Wer belastende Situationen nicht allein mit sich herumträgt, entlastet sein Gehirn und gibt seinen Gefühlen Raum.

Und wenn gerade niemand zum Reden da ist?
Hilfreich sind auch kleine Rituale, die einen Dienst bewusst abschließen – ein kurzer Spaziergang um den Block, ein Eintrag ins Tagebuch oder ein bewusstes Durchatmen im Auto, bevor man nach Hause fährt. Auch körperliche Stressreduktion ist entscheidend. Sport, Bewegung, Yoga oder Achtsamkeitsübungen helfen, die Stresshormone wieder abzubauen und den Körper in einen Zustand der Ruhe zu bringen. Schlaf und Erholung sind ebenfalls nicht zu unterschätzen, denn ohne ausreichenden Schlaf kann das Gehirn belastende Eindrücke nicht richtig verarbeiten. Und schließlich ist frühe Hilfe ein Zeichen von Stärke. Wer merkt, dass er nicht mehr runterkommt, sollte sich rechtzeitig psychologische Unterstützung holen – das ist kein Makel, sondern professionelle Selbstfürsorge.

Welchen persönlichen Tipp hast du für Kolleginnen und Kollegen?
Es ist wichtig zu akzeptieren, dass man nicht alles kontrollieren oder verhindern kann – und dass genau diese Akzeptanz ein Schlüssel zur Heilung sein kann.

Vielen Dank für das Gespräch!

Autorin

Karin Greeck

Als freie Journalistin findet sie immer die richtigen Worte, um auch komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Spezialgebiete: spannende Interviews und Reportagen.

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