Wie gehen ÄrztInnen mit Ängsten, Sorgen und Nöten um?
Die COVID-19-Pandemie hat Ärzte und Ärztinnen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geführt. Unter extremen Bedingungen mussten sie mit einem bisher unbekannten Virus umgehen. Dazu kam die Angst, zu Hause die eigene Familie anzustecken. Wie haben sie es geschafft, in so einer Krisensituation psychisch stabil zu bleiben? Mittlerweile gibt es einige Studien, in denen Ärtzinnen und Ärzte dazu befragt wurden.
So schildern 26 Notfallärzte und -ärztinnen aus New York City – einem frühen Epizentrum der Pandemie – wie sie mit Angst, Unsicherheit, Frustration und Traurigkeit angesichts der vielen Schwerkranken und Toten umgegangen sind.
Wie Mediziner in Krisenzeiten neue Strategien entwickeln
Für viele von ihnen war vor allem der Rückhalt und der Austausch im eigenen Team oder der Austausch mit anderen Ärzten entscheidend, das Gefühl nicht alleine zu sein – selbst wenn es nur kurze Nachrichten in einer WhatsApp-Gruppe waren, wie eine Ärztin berichtet:
„Diese WhatsApp-Gruppe hat wahrscheinlich buchstäblich Menschenleben gerettet. Wir konnten gemeinsam weinen, lachen und einfach das Gefühl haben, dass man nicht der Einzige ist, der das durchmacht.“
Viele der befragten Ärztinnen und Ärzte schildern einen Prozess, in dem es ihnen gelang, sich nach und nach auf die neue Situation einzustellen. So beschreibt ein Arzt, wie er mit der Zeit neue Strategien entwickelte. Er lernte zum Beispiel trotz Schutzkleidung mit seinen PatientInnen in Verbindung zu treten, indem er intensiver über seine Augen kommunizierte.
„Ich versuche jetzt, mit meinen Augen viel ausdrucksstärker zu sein.“
Resilienz stärken: Schlaf und Bewegung
Ein anderer Arzt beschreibt, dass er in dieser schweren Zeit erst gelernt hätte, wie erleichternd es sein kann, belastende Gefühle bewusst auszusprechen.
„Ich bin offener geworden, meine Gefühle auszudrücken. Früher habe ich alles bei der Arbeit gelassen, aber jetzt spreche ich mit meiner Frau darüber.“
Andere achteten bewusst darauf, bei allem Stress und Chaos noch Zeit für regelmäßige Bewegung, Ruhe und genügend Schlaf zu finden.
„Ich gehe joggen und versuche, geistig und körperlich gesund zu bleiben.“
„Ich achte darauf, dass ich jede Nacht mindestens sechs Stunden schlafe.“
Auch Humor diente einigen als Schutzmechanismus.
„Ich denke, Humor war auch ein wichtiger Bewältigungsmechanismus, sich über das Chaos lustig zu machen, darüber, wie sich die Vorschriften jeden Tag ändern.“
In einer anderen Studie befragten Forscher kanadische Ärzte. Diese sagten zum Beispiel, dass der feste Glaube an die Wissenschaft sie durch die Krise getragen habe. Zudem schilderten einige auch eine gesteigerte Wertschätzung und Dankbarkeit für das eigene Leben angesichts der Vergänglichkeit, die sie täglich erlebten.
So lässt sich die psychische Widerstandkraft trainieren
Was die Ärzte erzählen, entspricht in vielem den Erkenntnissen der Resilienzforschung. Sie untersucht, wie Menschen trotz Stress, Krisen oder anderen widrigen Lebensumständen psychisch gesund bleiben oder sich davon wieder erholen. Lange Zeit ging man davon aus, dass Resilienz eine angeborene Eigenschaft sei, die Menschen entweder besitzen oder nicht. Tatsächlich beeinflussen genetische Unterschiede und Persönlichkeitsmerkmale wie jemand auf Belastungen reagiert. Hinzu kommen erlernte Verhaltensweisen in der Kindheit.
Neuere Forschung zeigt jedoch auch, dass sich Resilienz im Laufe des Lebens entwickeln, gestärkt, aber auch geschwächt werden kann. Jeder Mensch hat damit die Möglichkeit, seine Widerstandsfähigkeit zu fördern.
Tipps, wie sich Resilienz stärken bzw. trainieren lässt
1. Soziale Beziehungen pflegen
Eine der bestuntersuchten Erkenntnisse ist, dass Beziehungen zu Familie, Freunden, Bekannten, Mentoren oder Mentorinnen einen entscheidenden Resilienzfaktor darstellen. Studien zeigen, dass schon wenige verlässliche Bezugspersonen die psychische Widerstandskraft signifikant erhöhen. Selbst lose, regelmäßige soziale Kontakte in Gruppen zum Beispiel beim Sport erhöhen die Stressresistenz. Ehrenämter oder die Teilnahme an kreativen Projekten stärken darüber hinaus das Gefühl von Sinnhaftigkeit – ein weiterer Booster für die Resilienz.
2. Selbstwirksamkeit fördern
Menschen, die daran glauben, ihre eigenen Handlungen wirksam steuern zu können, gehen Herausforderungen selbstbewusster an und lassen sich weniger von Rückschlägen entmutigen. Selbstwirksamkeit lässt sich trainieren, indem man sich immer wieder realistische, aber herausfordernde Ziele setzt und diese in machbare kleine Schritte zerlegt. Auch mentales Vorstellen von Erfolgen kann die Überzeugung erhöhen, schwierige Aufgaben bewältigen zu können.
3. Dankbarkeit trainieren
Wer regelmäßig bewusst positive Erfahrungen wahrnimmt und wertschätzt, stärkt seine Resilienz. Eine einfache Methode ist ein Dankbarkeitstagebuch, in dem man täglich drei Dinge notiert, für die man dankbar ist. Es hilft, den Blick auf das zu lenken, was bereits vorhanden ist, statt auf das, was fehlt. Das stärkt das Bewusstsein für die eigenen Ressourcen, an die man sich in Krisensituationen erinnern sollte.
4. Stress regulieren
Durch Atemübungen, Entspannungstechniken, Meditation oder Achtsamkeitstraining lässt sich lernen, innere Anspannung zu reduzieren. Hilfreich ist es auch, belastende oder negative Gedanken bewusst zu reflektieren, zu hinterfragen und durch lösungsorientierte Gedanken zu ersetzen. Auch Aufenthalte in der Natur, sei es ein Waldspaziergang, Parkbesuch oder Gartenarbeit, senken nachweislich Stresshormone und reduzieren Angst, depressive Stimmung und Gereiztheit. Schon kurze Naturerfahrungen von 10 bis 20 Minuten pro Tag haben positive Effekte. Auch eine kognitive Verhaltenstherapie oder Kurse zum Stressmanagement können die Widerstandsfähigkeit stärken. Sport und regelmäßige Bewegung wirken wie ein „Ventil“ für Stress und negative Emotionen.
5. Selbstfürsorge stärkt Ärztinnen und Ärzte im Alltag
Dass resilienzfördernde Strategien insbesondere Ärztinnen und Ärzten helfen, konnte bereits belegt werden. In den letzten Jahren sind an einigen Universitätskliniken und Krankenhäuser entsprechende Trainings eingeführt worden. So bietet etwa die Charité – Universitätsmedizin Berlin seit einigen Jahren Kurse zu Mind-Body-Medicine an, die auf Selbstfürsorge, Achtsamkeit, Selbstwirksamkeit und Stressreduktion bei Ärzten und Ärztinnen abzielen. Die Teilnehmenden berichteten über signifikante Verbesserungen in diesen Bereichen, die sich positiv auf ihren Alltag ausgewirkt hätten.
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