Die Zahl an Hebammen wächst - aber nicht genug
Die schlechte Nachricht: Die Geburtenrate in Deutschland sinkt. Von 830.000 Geburten im Jahr 1991 auf 690.000 Geburten in 2023. Dadurch, aber auch wegen anderer Gründe, hat sich die Anzahl der Geburtsstationen um fast die Hälfte verringert. Während es 1991 fast 1.200 Krankenhäuser mit Geburtsstationen gab, waren es laut dem Deutschen Hebammenverband (DHV) im Jahr 2020 nur 620. Die Arbeitsbelastung der einzelnen Hebamme nimmt daher zu.
Daneben müssen sie weitere Herausforderungen meistern: hohe physische, psychische und finanzielle Belastungen wie eine sehr hohe Haftpflichtversicherungsprämie, insbesondere, wenn die Hebamme auch Geburtshilfe anbietet. Zum anderen unkalkulierbare Arbeitszeiten, herausfordernde Arbeitsbedingungen und eine verhältnismäßig geringe Bezahlung.
Jede Geburt eines Kindes ist anders und jede werdende Mutter hat individuelle Bedürfnisse. Darauf müssen sich Hebammen jedesmal neu einstellen. Die meisten Hebammen arbeiten freiberuflich mit eigener Praxis, in einer Gemeinschaftspraxis, im Krankenhaus oder Geburtshaus. Nach Angaben des Deutschen Hebammenverband (DHV) arbeiteten 2022 nur rund 10.000 Hebammen festangestellt in Kliniken.
Hebammen bieten Geburtsvorbereitungskurse, Geburtsbegleitung und Nachsorge an. In Krankenhäuser kommen Hebammen sowohl im Kreißsaal, in der Schwangerenambulanz als auch auf der Wochenbettstation zum Einsatz. In einem Geburtshaus arbeitet die Hebamme in der Regel als Beleghebamme. Hebammen begleiten auch Hausgeburten, auch wenn die nur rund 1,5 Prozent aller Geburten in Deutschland ausmacht.
Von den etwa 18.500 Hebammen, die nicht im Krankenhaus arbeiten, bieten nur etwa 4.200 auch tatsächlich Geburtshilfe an. Viele freiberufliche Hebammen arbeiten ausschließlich in der Vor- und Nachsorge. Warum? Weil die Arbeitsbelastung in der Geburtshilfe sehr hoch ist und sich schlecht planen lässt. Planbarer sind die Dienste in der Vor- und Nachsorge. Dazu kommen die hohen Versicherungsprämien, die mögliche Personenschäden während der Geburt abdecken sollen.
Hebammen und Geburtshelfer sind also vielen großen Belastungen ausgesetzt – mit weitreichenden Folgen. Neben dem hohen körperlichen Einsatz kommen Schichtdienst, Nachteinsätze, Rufbereitschaft und finanzielle Sorgen hinzu. Die Arbeit als Hebamme ist nicht risikolos, Fehler ziehen weitreichende Konsequenzen nach sich – finanziell und emotional.
Die Folgen für schwere Geburtenschäden sind nahezu unkalkulierbar, daher steigen die Versicherungsprämien drastisch. Kostete die Haftpflichtprämie für die Geburtshilfe für DHV-Mitglieder 1981 umgerechnet 30,68 Euro, waren es im Juli 2023 schon 12.659 Euro. Nach Angaben des GKV-Spitzenverbandes unterstützt ein Sicherstellungszuschlag von bis zu 9.990 Euro zwar die Hebammen, bei der die Versicherung ein Großteil zurückzahlt, dennoch müssen Hebammen in Vorkasse gehen.
Am schönsten wäre es, wenn sich eine Hebamme im Kreißsaal nur um eine Schwangere kümmern könnte
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Eine Eins-zu-Eins Betreuung, bei der in der Phase der Geburt eine Hebamme eine werdende Mutter betreut, ist derzeit leider eher die Ausnahme als die Regel. Häufig sind es zwei bis vier Schwangere. Eine immense Belastung und sehr hohe Verantwortung, häufig kompensiert durch ein hohes persönliches Engagement. Würden sich die Arbeitsbedingungen ändern, läge die die Zahl der RückkehrerInnen ehemaliger Hebammen in ihren Beruf einer Umfrage des Hebammen-Verbandes nach bei 77 Prozent. Voraussetzung dafür wäre für sie, dass die Eins-zu-Eins Betreuung gewährleistet wird.
Durch den Fachkräftemangel nimmt die Belastung der Einzelnen weiter zu. Das hat Folgen: emotionale Erschöpfung und schlimmstenfalls ein Burnout. Bei einer Studie in Schweden auf Basis der Daten von über 2.000 Hebammen im Jahr 2022 zeigten mehr als die Hälfte der Hebammen Anzeichen von Burnout. Die Forscher unterscheiden zwischen persönlichem (50,6 Prozent) und arbeitsbedingten Burnout (42 Prozent). Zehn Jahre zuvor lag der Wert bei einer ähnlichen Studie bei rund 39,5 Prozent und stieg auf 53,6 Prozent. Der arbeitsbedingte Burnout stieg im gleichen Zeitraum hingegen von 15,5 Prozent auf 49,2 Prozent. Am stärksten betroffen waren Hebammen mit kürzerer Berufserfahrung und diejenigen, die im Schichtdienst arbeiten.
Viola Bülter ist Hebamme und arbeitet seit mehreren Jahren nebenberuflich in der Zeitarbeit. Im Interview spricht sie über ihr Arbeitsmodell, ihren Beruf, die Herausforderungen und was sie sich von der Politik und von den werdenden Eltern wünschen würde.
Auch wenn er anstrengend ist, für viele ist der Beruf der Hebamme immer noch ein erstrebenswerter Traumjob. Die Ausbildung zur Hebamme wurde im Januar 2020 reformiert, von einer dreijährigen Ausbildung mit Examensprüfung hin zur einer akademischen Ausbildung. Hebammenwissenschaft bzw. Angewandte Hebammenwissenschaft ist ein siebensemestriges, duales Studium mit einem hohen Praxisanteil und einer engen Verzahnung von Theorie und Praxis. Die angehenden Hebammen erhalten Zugang zur wissenschaftlichen Lehre und eine hochwertige praktische Ausbildung. Die Studierenden besitzen nach Erreichen des Bachelors eine akademische Berufsqualifizierung auf der Basis neuester Forschungserkenntnisse, wie an der Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Seitdem werden Hebammen in ihrer Qualifizierung anderen Fachberufen gleichgestellt. Eine späte Anerkennung an einen wichtigen Beruf.
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Fabian Hoberg
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