Im Klinikalltag gibt es viele herausfordernde Situationen. Der unerwartete Tod eines Patienten, eine schwierige Diagnose oder Vorfälle mit Angehörigen können Gefühle von Druck, Angst und Hilflosigkeit auslösen. Keiner muss jedoch dauerhaft alleine kämpfen. In unterstützenden Netzwerken fangen sich Ärztinnen und Ärzte gegenseitig auf. KollegInnen hören zu, geben Rückhalt oder teilen ihr Wissen und ihre Erfahrungen. Wir stellen einige Anlaufstellen vor:
Peer-Support: Mit geschulten KollegInnen über Belastungen reden
Wir helfen uns gegenseitig – das ist das Motto, das hinter dem Konzept des Peer-Supports steckt. Zuvor geschulte MitarbeiterInnen eines Krankenhauses nehmen sich Zeit für KollegInnen, die über Belastungssituationen reden möchten. Der Austausch von Gleichgesinnten, also etwa von Arzt zu Arzt, hat den Vorteil, dass alle die Rahmenbedingungen der Klinik kennen und täglich miterleben.
Das Konzept hat sich bereits in ein paar deutschen Kliniken etabliert. So gibt es zum Beispiel am Klinikum Starnberg ein Peer-Support-Team aus Ärztinnen, Pflegekräften, Hebammen, der Betriebsärztin und einer Psychoonkologin. Die 21 Peers haben eine Weiterbildung durchlaufen, in der sie Grundlagen zur Entstehung und Verarbeitung von psychischen Belastungen gelernt haben.
Akut-Telefon: Ein offenes Ohr für die, die helfen
Der gemeinnützige Verein PSU-Akut, der 2013 von Münchner Akutmedizinern gegründet wurde, bietet mit seinem Not-Telefon eine Anlaufstelle, um in besonderen Belastungssituationen und nach schwerwiegenden Ereignissen Erlebtes besprechen und verarbeiten zu können. Unter der kostenfreien Rufnummer 08000 911912 erhalten Mitarbeitende im Gesundheitswesen eine vertrauliche Beratung. Der Verein bietet außerdem Akutinterventionen und Fortbildungen für Teams sowie Beratung für Führungskräfte an.
Schwarmintelligenz: Unterstützung bei schwierigen Entscheidungen
Auf „Coliquio“, der größten Ärzte-Community im deutschsprachigen Raum, tauschen sich um die 250.000 Ärzte und Ärztinnen aller Fachrichtungen in zahlreichen Foren aus. Zugang haben ausschließlich approbierte ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen. Auf der Plattform diskutieren sie Diagnosen und Therapieoptionen, teilen ihr Wissen und ihre Erfahrungen.
An der Lösung mancher Patientenfälle wirken Hunderte MedizinerInnen mit. Dazu gibt es regelmäßig aktuelle Nachrichten aus der Medizin und Gesundheitspolitik und Informationen zu medizinischen Entwicklungen und Fortbildungen.
Das „Deutsche Medizin Forum“ bietet eine Plattform mit 50 kostenlosen Fachforen, in denen man Fragen stellen und mitdiskutieren kann. Die Themen sind vielfältig – von medizinischen Fachgebieten über Pflege oder Rettungsdienst bis hin zu Gesundheitspolitik oder Telemedizin. Um Mitglied zu werden, ist lediglich eine kostenlose Registrierung nötig. Die Plattform wird von dem Internisten Achim Jäckel betrieben, der sie 1995 gemeinsam mit zwei Kollegen gegründet hat.
Wenn es um wissenschaftliche Fragen ganz bestimmter Disziplinen geht, ist man bei Fachgesellschaften an der richtigen Adresse. Sie organisieren außerdem Kongresse oder geben eigene Zeitschriften heraus. Eine Liste der zahlreiche Fachgesellschaften allein in Deutschland findet man zum Beispiel unter diesem Link.
Aller Anfang ist schwer: Hilfe für Berufseinsteiger
Soll ich mich in einer Praxis niederlassen oder im Krankenhaus arbeiten? Wie verhalte ich mich bei einem Bewerbungsgespräch? Und wie komme ich mit den Nachtschichten klar? Klugen Rat auf solche Fragen bekommt man im Rahmen von Mentoring-Programmen bei erfahrene MedizinerInnen.
Sie stehen dem ärztlichen Nachwuchs als Begleitung während des Studiums oder beim Berufseinstieg persönlich zur Seite und werden häufig über Fachgesellschaften oder Berufsverbände vermittelt. Manche Kliniken oder medizinischen Fakultäten wie zum Beispiel die Berliner Charité oder das Universitätsklinikum Heidelberg haben auch eigene Mentoring-Programme.
Karrierechancen verbessern: Frauen stärken sich gegenseitig
Nach wie vor haben Frauen schlechtere Karrierechancen als ihre männlichen Kollegen. Je höher die Karrierestufe, desto geringer wird der Anteil der Medizinerinnen. Spezielle Mentoring-Programme richten sich deshalb gezielt an Ärztinnen oder Medizinstudentinnen. So unterstützt zum Beispiel der Deutsche Ärztinnenbund junge Frauen in ihrer beruflichen Entwicklung mit 1-zu-1-Mentoring-Sitzungen, Workshops und Networking-Veranstaltungen. Die derzeit 200 Mentorinnen arbeiten als niedergelassene oder angestellte Ärztinnen in Kliniken und der Wissenschaft und sind in berufspolitischen Gremien aktiv.
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Berufsverbände: Beistand im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen
Geht es darum, die berufliche und ökonomische Situation von Ärzten und Ärztinnen zu verbessern, sind Berufsverbände die erste Anlaufstelle. Der größte Ärzteverband Deutschlands, der Marburger Bund, hat mittlerweile mehr als 146.000 Mitglieder. Er engagiert sich für Themen wie geregelte Arbeitszeiten, Vergütung, Befristung von Arbeitsverträgen, Weiterbildungen oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Seinen Mitglieder bietet er auch arbeitsrechtliche Beratungen, Vertragsprüfungen oder juristische Vertretung im Falle eines Prozesses an.
Weitere Berufsverbände:
Vorteile von Austausch in Communitys wissenschaftlich erwiesen
Unterstützende Netzwerke helfen nachweislich dabei, Stress zu bewältigen und die psychische Gesundheit zu verbessern. Studien zeigen, dass Menschen, die in belastenden Situationen soziale Unterstützung erfahren, weniger stark auf Stress reagieren.
Eine Untersuchung unter MedizinerInnen konnte sogar zeigen, dass ein solcher Austausch die Gefahr von ärztlichen Fehlern bei Diagnosen und Behandlungen vermindert. Über mehrere Jahre untersuchten die Forschenden, wie es sich auf die Arbeit von MedizinerInnen auswirkt, wenn sie Entscheidungen vorab mit KollegInnen diskutierten. Das Ergebnis: Die ÄrztInnen konnten erheblich vom Erfahrungsaustausch profitieren. Die Behandlungserfolge nahmen zu und die Anzahl schlechter Entscheidungen sank über die Zeit. Es lohnt sich also, nicht immer Einzelkämpfer zu sein, sondern auf die Kraft der Gemeinschaft zu setzen.
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