Verarbeitung

Schwer zu verkraften: Traumatische Ereignisse im Arztberuf

Eine Ärztin lehnt an der Wand und schaut traumatisert
Karin Greeck | 3.9.2025 | Lesedauer: 4 Minuten

Studien belegen: Ärztinnen und Ärzte leiden berufsbedingt viermal häufiger an posttraumatischen Belastungsstörungen. Warum das so ist und was hilft.

Lebensbedrohliche Situationen, erfolglose Rettungsversuche, plötzlicher Tod, ethische Dilemmata – wer als Arzt, Ärztin oder Pflegekraft im Krankenhaus arbeitet, wird besonders häufig mit belastenden Situationen konfrontiert. Hinzu kommen Stress, Zeitdruck und enorme Verantwortung. Und damit nicht genug: Eine Umfrage von doctari zeigt, dass beinahe jede medizinische Einrichtung Gewalt gegen das eigene Personal erlebt. Dass dabei häufig die eigene Belastungsgrenze überschritten wird, zeigen Gefühle wie Schuld, Versagen oder Scham – auch dann, wenn objektiv alles richtig lief. Aber was, wenn die Belastung krank macht? Welche Folgen haben Traumata im Berufsalltag? Und: Wie kann die Verarbeitung gelingen?

Wenn die Erfahrung zur Erkrankung wird

Wird ein Ereignis vom Gehirn nicht verarbeitet, wird es auf Kurz oder Lang zur Belastung. Die Folge können psychische Erkrankung wie Depressionen, Angststörungen, Burnout oder eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sein. Das sei immer dann der Fall, wenn ein Erlebnis nicht integriert wird und somit „roh“ und emotional überladen bleibt, erklärt Dr. Marcel von Rauchhaupt, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Das Gehirn unterscheide dann nicht mehr zwischen damals und jetzt. So könne ein Geräusch, ein Geruch, ein Satz den Körper plötzlich wieder in den Alarmzustand versetzen.

Schuldgefühle verstärken laut Rauchhaupt diesen Effekt noch: „Viele Medizinerinnen und Mediziner kennen Gedanken wie: Habe ich genug getan? Hätte ich etwas anders machen müssen?“ Ein Teufelskreislauf, so der Experte, da solche „Grübelschleifen“ die Integration verhindern: „Das Gehirn bleibt in einem Modus, in dem es das Geschehene immer wieder durchkaut, aber nie zur Ruhe kommt.“

Ein Patient in einem Krankenhaus wird handgreiflich

Gewalterfahrungen am Arbeitsplatz können sehr belastend sein

Traumata im Arztberuf – keine Seltenheit

Psychologen der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig konnten bereits 2020 in einer bundesweiten Forschungsstudie belegen, dass über die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte bereits ein traumatisches Ereignis erlebt hat. Anette Kersting, Studienleiterin und  Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Leipzig erklärt dazu: „Ärztinnen und Ärzte haben ein erhöhtes Risiko, traumatische Erfahrungen zu erleben, da sie täglich mit Schmerz, Leid, schweren Erkrankungen oder dem Tod konfrontiert sind“. Wann aber ist zu viel zu viel und Hilfe nötig?

Eigene Grenzen erkennen

Eine akute Belastungsreaktion direkt nach einem Ereignis sei zunächst normal, erklärt von Rauchhaupt. So hätten viele Ärztinnen und Ärzte mehrere Tage bis Wochen nach einer belastenden Situation Albträume oder müssten ständig an das Erlebte denken. Hinzu können kurzfristig Schlafstörungen, Gereiztheit, Erschöpfung oder körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Herzrasen oder Magenprobleme kommen.

„Von einer posttraumatischen Belastungsstörung sprechen wir dann, wenn bestimmte Symptome über mehr als vier Wochen anhalten und das Leben erheblich einschränken“, so der Facharzt. Typisch seien wiederkehrende Flashbacks, starke Vermeidung – zum Beispiel bestimmter Räume oder Tätigkeiten – eine dauerhafte innere Übererregung mit besonderer Schreckhaftigkeit oder Gereiztheit sowie emotionale Taubheit.

Um das zu vermeiden sollten bereits erste posttraumatische Symptome als Warnzeichen erkannt und ernstgenommen werden. „Das zeigt, hier kämpft jemand, hier braucht es Unterstützung“, sagt von Rauchhaupt. Und die gibt es. Insofern die Betroffenen Hilfe suchen und annehmen, sind viele therapeutische Maßnahmen möglich.

Schlechte Erfahrungen sind gut heilbar

So hat die Universität Leipzig im Zuge ihrer Forschung beispielsweise eine Internettherapie für Ärztinnen und Ärzte mit posttraumatischer Belastungsstörung entwickelt. Als Schreibtherapie über einen Zeitraum von fünf Wochen soll die Versorgungssituation belasteter ÄrztInnen nachhaltig verbessert werden. Darüber hinaus sind spontane Einzel- oder Gruppengespräche mit klinischen PsychologInnen und Supervision sinnvoll für belastende Fälle. Aus eigener Erfahrung nach einem gewaltvollen Übergriff im Dienst berichtet von Rauchhaupt: „Was mir damals enorm geholfen hat, war das Reden mit KollegInnen, die mich ernst genommen haben, die zugehört haben, ohne zu urteilen.“ Auf diese Weise lassen sich Schuld und traumatische Erlebnisse sozial eingebettet verarbeiten. Wer unter einer tiefergehenden Belastung leidet, sollte vor einer Kurz- oder Langzeittherapien nicht zurückschrecken. Zudem gibt es im Alltag viele Möglichkeiten, Belastungen präventiv abzubauen.

„Fünf Minuten verändern viel“

Von einer Kollegin berichtet der Psychiater, dass ein kurzes Debriefing nach jedem Dienst enorm hilfreich sei. „Jeder sagt, was er erlebt hat, was schwer war. Diese fünf Minuten verändern viel.“ Andere, so von Rauchhaupt, schreiben sich die Situation von der Seele – zum Beispiel in ein Notizbuch nur für solche Erlebnisse. Auch ein Dankbarkeitstagebuch sei sinnvoll, um den Fokus nicht nur auf die Schwere, sondern auch auf das Gelungene zu richten.
Besonders viele KollegInnen setzen zudem auf Sport: „Ein langer Lauf nach einem schweren Dienst kann Wunder wirken, weil er den Stresskreislauf im Körper beendet“, erklärt der Mediziner. Wichtig sei aber vor allem eines: „Niemand muss das allein tragen. Und es ist ein Zeichen von Stärke, sich Unterstützung zu holen.“

Titelbild: KI-generiert

Autorin

Karin Greeck

Als freie Journalistin findet sie immer die richtigen Worte, um auch komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Spezialgebiete: spannende Interviews und Reportagen.

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