Neues Berufsbild

Forensic Nurse: Wenn Opfer von Gewalt in die Klinik kommen

Eine Forensic Nurse zieht sich gerade Einmal-Handschuhe an
Amely Schneider | 4.7.2025 | Lesedauer: 4 Minuten

Sie sind dafür ausgebildet, Gewaltopfer in Kliniken zu betreuen: Forensische Pflegekräfte sind in den USA schon etabliert, in Deutschland sucht man sie vergebens. Noch.

Die erste Forensic Nurse

Virginia Lynch war in ihrem Alltag als Krankenschwester oft frustriert. In der Notaufnahme ihrer Klinik im US-Staat Texas sah sie in den 80er-Jahren immer wieder Verletzungen durch Gewalt gegen Frauen. Eine Tatsache, die von den meisten Ärzten ignoriert wurde.

Virginia Lynch wollte daran etwas ändern und bildete sich selbständig weiter. Bald war sie die Einzige in ihrer Klinik, die wusste, wie man mit einem „Rape Kit“ Spuren nach einer Vergewaltigung sichert. Zudem entwickelte sie ein Konzept für eine spezialisierten Pflegekraft, die medizinische Versorgung mit juristischem Sachverstand verbindet: die Forensic Nurse.

Mittlerweile bildet Virginia Lynch seit mehr als 30 Jahren forensische Pflegekräfte an Hochschulen in den USA aus. Ein Berufsbild, das dort mittlerweile in allen Staaten verbreitet und anerkannt ist. Zudem reist sie durch die Welt, um auch in anderen Ländern für diese Ausbildung zu werben. 

Ein Wattestäbchen wird in ein Reagenzglas eingeführt

Gewaltopfer sprechen oft nicht über den Ursprung ihrer Verletzungen 

Wenn Menschen nach einem Gewaltverbrechen in eine Notaufnahme kommen, müssen sie anders behandeln werden als jemand, der sich einen Arm gebrochen hat. Zum einen brauchen sie eine einfühlsame Betreuung und psychologische Unterstützung, zum anderen sollten Spuren für die Rechtsmedizin gesichert werden, um den Täter anzeigen und vor Gericht überführen zu können. Oft sprechen die Betroffenen aus Scham oder Angst nicht über das, was ihnen geschehen ist. Manchmal werden sie sogar von den Tätern begleitet.

Zu einer forensischen Untersuchung gehören

  • die Anamnese der Ereignisse eines Gewaltverbrechens
  • die schriftliche oder fotografische Dokumentation von Verletzungen
  • die Sicherung von Spurenmaterial
  • sowie die Aufbewahrung von Material für chemisch-toxikologische Untersuchungen (etwa Drogen, K.-o.-Tropfen).

Forensische Untersuchungen sind Teil der Facharztausbildung und Expertise von RechtsmedizinerInnen. In Fällen sexualisierter Gewalt arbeiten RechtsmedizinerInnen meist mit GynäkologInnen zusammen, die über die erforderliche Ausstattung verfügen, auch auf innere Verletzungen und Spuren zu untersuchen. Forensic Nurses kennen sich mit rechtlichen Aspekten aus und wissen, wie sie bei Verdacht auf Gewaltsituationen reagieren und mit wem sie kommunizieren müssen.

Zu den Aufgaben der Forensic Nurse gehören:

  • Symptome erkennen, die auf Gewalt hinweisen könnten
  • Gewaltopfern zuhören und sie beraten
  • Verletzungen versorgen
  • Prävention von Infektionen nach sexueller Gewalt (HIV-Prophylaxe)
  • Psychologische und psychosoziale Hilfe auf den Weg bringen
  • GynäkologInnen assistieren
  • DNA-Spuren sichern (z. B. Sperma, Haare, Hautpartikel)
  • Kleidung oder andere Beweisstücke sicherstellen
  • Verletzungen in Körperschemen-Darstellungen einzeichnen
  • Verletzungen fotografieren
  • Schriftliche Dokumentation
  • Aussagen vor Gericht als sachverständige Zeugin in Strafverfahren
  • Mit Polizei, Gerichtsmedizin, Staatsanwaltschaft, PsychologInnen, Sozialarbeit und Opferschutzorganisationen zusammenarbeiten

Außer in Notaufnahmen und Kliniken können Forensic Nurses auch in Frauenhäusern, Beratungsstellen für Gewaltopfer, Einrichtungen der forensischen Psychiatrie, in Gerichtsmedizinischen Institute, bei der Polizei und in der Kinder- und Jugendhilfe eingesetzt werden.

Faktenwissen statt Bauchgefühl: Pflegekräfte brauchen sachliche Argumente

Pflegkräfte sind oft näher an den PatientInnen dran als ÄrztInnen und bekommen so mehr mit. Während sie Blutdruck messen, nach Vorerkrankungen fragen, oder Blut abnehmen sprechen sie mit den PatientInnen und ihren Angehörigen. Oft haben sie das richtige Gefühl, das irgendetwas nicht stimmt, auch wenn PatientInnen nicht offen darüber reden.

Besser wäre es jedoch, wenn sie diese intuitiven Eindrücke an sachlichen Argumenten festmachen könnten. Dafür müssen sie gezielt geschult werden, um zu erkennen, welche speziellen Merkmale von Verletzungen für Gewalteinwirkungen sprechen.

In Deutschland hat sich das Konzept bisher nicht durchgesetzt

Auch in Großbritannien und Australien sind Forensic Nurses Teil des Gesundheitssystems. Ansonsten sind sie in Europa vor allem in der Schweiz zu finden – wo sie in großen Kliniken zum Personal gehören. Zudem gibt es diplomierte Forensic Nurses, die an rechtsmedizinischen Instituten arbeiten. In der Schweiz kann man Forensic Nursing zum Beispiel an der Universität Zürich oder der Fachhochschule Bern studieren. Voraussetzung ist, dass man bereits einen akademischen Abschluss in den Pflegewissenschaften oder bereits einiges an Berufserfahrung als Pflegefachkraft hat.

In Deutschland hat sich das Konzept dagegen bisher noch nicht durchgesetzt. An manchen Kliniken oder in Frauenhäusern wird das Personal zu forensischen Aspekten speziell geschult oder fortgebildet. Es gibt vereinzelt Modellprojekte oder Module mit forensischem Schwerpunkt, die in die Ausbildung oder das Studium der Pflegewissenschaft integriert werden. 

Ärztinnen und Ärzte fehlt es oft an Zeit

Kritiker bemängeln den Umgang mit Gewaltopfern in deutschen Notaufnahmen. Ärzte und Ärztinnen hätten aufgrund der hohen Arbeitsbelastung meist nicht genügend Zeit, sich länger mit den Ursachen von Verletzungen zu beschäftigen. Zudem wüssten sie oft gar nicht, worauf sie genau achten müssen, weil sie in der Rechtsmedizin nie ausreichend geschult und als Medizinstudenten und -studentinnen für solche Aspekte nicht ausreichend sensibilisiert wurden.

Titelbild: iStock.com/Patrick Chu

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Amely Schneider

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