Recht

Patienten ablehnen: Was ÄrztInnen dürfen – und was nicht

Ein Arzt hält abwehrend eine Hand vor seinen Körper
Eileen Geibig | 19.8.2025 | Lesedauer: 5 Minuten

Von Beleidigungen am Empfang bis zu aggressivem Verhalten in der Notaufnahme – der Druck auf Ärzte nimmt zu. Doch dürfen sie PatientInnen einfach ablehnen? Und wenn ja, wann?

Seit Corona ist der Ton rauer

Manchmal beginnt es mit einer Drohung: „Wenn ich hier morgen tot liege, dann sind Sie schuld!“. Das sagte ein junger Mann zu den Sanitätern, die ihn wegen starker Kopfschmerzen nicht direkt in die Notaufnahme bringen wollten. Er notierte ihre Namen. Für Matthias Walther (Name von der Redaktion geändert), Internist mit eigener Praxis in Brandenburg, ist das kein Einzelfall: „In letzter Zeit nehmen die Aggressionen zu. Spätestens seit Corona ist der Ton insgesamt viel rauer geworden.“

Solche Zwischenfälle sind längst keine Randnotiz mehr: Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) geben rund 60 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte an, regelmäßig mit aggressivem Verhalten von Patientinnen und Patienten konfrontiert zu sein. In manchen Praxen eskaliert die Situation fast wöchentlich.

Gewalt in Praxen – die Faktenlage

Eine bundesweite Online-Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) aus dem Jahr 2023 zeigt, wie weit verbreitet Gewalt im ärztlichen Alltag inzwischen ist:

  • 80 % der befragten ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen und Praxismitarbeitenden haben 2023 verbale Gewalt erlebt (z. B. Beschimpfungen, Drohungen).
  • 43 % berichten von körperlichen Übergriffen in den letzten fünf Jahren.
  • 60 % dieser körperlichen Attacken fanden allein im vergangenen Jahr statt.
  • Besonders betroffen sind Hausarztpraxen, Notfallambulanzen und Großstadtregionen.

Die KBV fordert mehr Schutzmaßnahmen, niedrigschwellige Meldewege und ein gesellschaftliches Bewusstsein für diese Problematik. 

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Grundsatz: Hilfe bei Notfällen ist verpflichtend.

Ob Vertragsarzt oder Klinikärztin, in akuten medizinischen Notfällen besteht grundsätzlich die Pflicht, Patientinnen und Patienten zu behandeln. Diese Pflicht ergibt sich sowohl aus dem ärztlichen Berufsrecht (§ 7 MBO-Ä) als auch aus § 323c StGB („Unterlassene Hilfeleistung“).

„Notfälle sind in aller Regel rechtlich nicht verhandelbar“, betont Dr. med. Arian Grüner, Rechtsanwalt im Gesundheitsrecht bei Baker McKenzie. „Wer eine erkennbare Gefahr für Leib oder Leben ignoriert, obwohl Hilfe möglich und zumutbar wäre, handelt pflichtwidrig, unabhängig vom Versichertenstatus oder der konkreten Versorgungssituation. Allerdings würde keine Behandlungspflicht bestehen, wenn eine Behandlung beispielsweise mit einer Selbstgefährdung verbunden wären“, so Grüner weiter.

Was gilt als ärztlicher Notfall?

Ein medizinischer Notfall liegt vor, wenn eine akute Gesundheitsstörung besteht, die unbehandelt zu schweren Schäden oder zum Tod führen kann, beispielsweise erkennbar an: starken Brust- oder Bauchschmerzen, Atemnot, akuten neurologischen Ausfälle (z. B. Lähmungen, Sprachstörungen), Bewusstlosigkeit, starken Blutungen oder schweren Verletzungen, psychiatrischen Krisen mit akuter Eigen- oder Fremdgefährdung. In solchen Fällen besteht regelmäßig eine Behandlungspflicht – unabhängig vom Versicherungsstatus, Praxiszustand oder bestehenden Konflikten.

Behandlungspflicht – Das sind die Unterschiede

1. Vertragsärzte oder Vertragsärztinnen (mit Kassenzulassung):

Sie sind zur Behandlung gesetzlich Versicherter verpflichtet (§ 95 SGB V). Die Aufnahme eines Behandlungsvertrags kann dabei auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen, etwa durch das Hereinbitten in das Sprechzimmer oder das Stellen einer Diagnose.

Eine Ablehnung ist nur möglich, wenn …

  • die Praxis nachweislich überlastet ist (z. B. bei vollständiger Auslastung der verfügbaren Kapazitäten) oder
  • ein gestörtes Vertrauensverhältnis vorliegt (z. B. durch wiederholte Beleidigungen, Bedrohungen oder destruktives Verhalten) oder
  • die Behandlung außerhalb der eigenen fachlichen Zuständigkeit liegt.

Wichtig: Auch bei Vorliegen eines Ablehnungsgrundes sind Notfälle in aller Regel zu behandeln – eine bloße Überfüllung rechtfertigt dann kein Abweisen.

2. Privatärzte und Privatärztinnen:

PrivatärztInnen ohne Kassenzulassung unterliegen keiner Verpflichtung zur Behandlung gesetzlich Versicherter. Sie können grundsätzlich frei entscheiden, ob sie eine Behandlung annehmen, außer bei medizinischen Notfällen.

Wurde jedoch ein Behandlungsvertrag geschlossen, sind auch PrivatärztInnen zur Erfüllung verpflichtet. Eine Ablehnung kann beispielsweise dann erfolgen, wenn das Vertrauensverhältnis gestört ist oder eine weitere Behandlung medizinisch nicht vertretbar erscheint.

3. Klinikärztinnen und Klinikärzte:

KlinikärztInnen handeln rechtlich gesehen primär für den jeweiligen Krankenhausträger, bei dem sie beschäftigt sind. Für PatientInnen in der Notaufnahme besteht in der Regel auch eine Behandlungspflicht.

„Im klinischen Kontext liegt die Verantwortung für Aufnahme und Ablehnung formal zunächst beim Träger, nicht unmittelbar bei der einzelnen Ärztin oder dem Arzt“, erklärt Dr. med. Arian Grüner. „Gleichwohl gilt auch hier: Bei Notfällen darf keine medizinische Hilfe verweigert werden“, sagt Grüner weiter.

Gute Gründe für eine Ablehnung

Es gibt Situationen, in denen eine Ablehnung nicht nur erlaubt, sondern auch sinnvoll und notwendig ist.

1. Überlastung:

Wenn der Kalender platzt und die Versorgung anderer PatientInnen gefährdet wäre, dürfen NeupatientInnen abgelehnt werden.

2. Fachliche Grenzen:

Wer als Hautarzt mit komplexen Herzproblemen konfrontiert wird, darf (und sollte) eine Spezialbehandlung ablehnen und an passende KollegInnen verweisen.

3. Gestörtes Vertrauensverhältnis:

Dazu gehören wiederholte Beleidigungen, Bedrohungen, Übergriffe gegenüber dem Praxisteam oder die Missachtung medizinischer Empfehlungen.

Die Hautärztin Mette Fröhling (Name von der Redaktion geändert) aus Berlin hat dazu eine klare Haltung entwickelt: „Einem Patienten, der meine Mitarbeiterin rassistisch beleidigt hat, habe ich Praxisverbot erteilt. Genauso bei einem Fall sexueller Belästigung. Notfalls würden wir auch die Polizei hinzuziehen.”

4. Sicherheitsaspekte und grobes Fehlverhalten:

Matthias Walther erinnert sich: „Ein Obdachloser hat sich im Praxisflur erleichtert. Ihm habe ich klipp und klar gesagt, dass er sich einen anderen Hausarzt suchen soll.“

Was gar nicht geht: Diskriminierung oder reine Wirtschaftlichkeit.

Ablehnungen auf Basis von Herkunft, Religion, sexueller Orientierung oder Behinderung sind ausnahmslos unzulässig und verstoßen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Auch wirtschaftliche Gründe wie „Die Behandlung lohnt sich nicht“ zählen nicht.

Was passiert, wenn ich trotzdem ablehne?

Wer PatientInnen ohne triftigen Grund abweist, macht sich nicht nur zivilrechtlich angreifbar (Stichwort: Schadensersatz), sondern kann auch strafrechtlich verfolgt werden (§ 323c StGB – unterlassene Hilfeleistung). Zudem drohen berufsrechtliche Konsequenzen sowie der Verlust der Zulassung.

Dr. med. Arian Grüner rät: „Im Zweifel sollten Sie immer dokumentieren, warum Sie eine Behandlung abgelehnt haben. Und wenn es heikel wird, holen Sie sich lieber Rechtsrat ein.“

So dokumentieren Sie Ihre Ablehnung rechtssicher.

Wer Patientinnen oder Patienten aus guten Gründen ablehnt, sollte dies dokumentieren. Das schützt vor Missverständnissen und juristischen Risiken. Bei wiederkehrenden Vorfällen kann es sinnvoll sein, das Gespräch schriftlich zu beenden, etwa durch ein förmliches Schreiben, in dem auf das gestörte Vertrauensverhältnis hingewiesen wird.

Was gehört dazu?

  • Datum, Uhrzeit und Grund der Ablehnung, z. B. „Patient wurde aufgrund eines gestörten Vertrauensverhältnisses nicht aufgenommen“
  • Hinweis auf Verhalten oder Vorgeschichte, z. B. Beleidigung, wiederholte Therapieblockade, Übergriff
  • ggf. Verweis auf alternative Versorgung, z. B. „Patient auf Notfallpraxis der KV verwiesen“

Form der Dokumentation:

Ein Tipp vom Medizinrechtler: „Eine Ablehnung sollte nachvollziehbar, sachlich und gut dokumentiert sein“, rät Dr. Grüner von Baker McKenzie. „Idealerweise mit kurzer Begründung in der Patientenakte. Sachliche Notizen zeigen professionelle Sorgfalt und tragen im Zweifel zur rechtlichen Absicherung bei“, so Grüner weiter.

Ein Patient in einem Krankenhaus wird handgreiflich

In Krankenhäusern, vor allem in Notaufnahmen, wird medizinisches Personal immer häufiger Opfer von Gewalt.

Was hilft bei einer Eskalation?

Internist Matthias Walther hat da seine Strategie: „Ich spreche die Leute ruhig, aber deutlich an: Wenn Sie hier Ärger machen, dauert es für alle länger. Das sehen die meisten dann ein.“

Fazit: Haltung zeigen, Grenzen setzen

Die meisten Ärztinnen und Ärzte handeln laut Walther nach bestem Wissen und Gewissen. „Niemand würde einen echten Notfall wegschicken”, so der Internist. Trotzdem wünscht er sich mehr Rückendeckung bei übergriffigem Verhalten. Klare Regeln zum Schutz des eigenen Teams sind inzwischen essenziell. Mette Fröhlich bringt es auf den Punkt: „Wenn Respekt fehlt, ziehe ich die Grenze. Unsere Praxis ist ein Ort der Hilfe und kein rechtsfreier Raum.“

Titelbild: iStock.com/Deagreez

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Autor

Eileen Geibig

Eileen ist freie Texterin mit einem Faible dafür, komplexe Themen auf den Punkt zu bringen und dabei die Menschen hinter der Geschichte sichtbar zu machen. Ihre Spezialität sind fundierte Artikel, lebendige Porträts und inspirierendes Storytelling.

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