Viele Gesundheits-Apps, wenig DiGas
Deutschland war Vorreiter: Im Jahr 2019 wurde hierzulande ein Gesetz auf den Weg gebracht, das „Apps auf Rezept“ im Rahmen des „Digitale-Versorgung-Gesetzes“ (DVG) ermöglicht. Ende 2020 kam die erste digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) auf den Markt.
Seitdem haben sich zahlreiche Anbieter auf den Weg gemacht, Anwendungen zu entwickeln. Doch eine Vielzahl der neuen Apps steht nicht im offiziellen DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), sondern ist frei verfügbar.
Nutzerdaten bringen mehr Geld als Krankenkassen
Wie eine Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt, werden die meisten Apps, die seit dem neuen Erstattungsmodell auf den Markt kamen, also gar nicht von den Krankenkassen erstattet. Stattdessen finanzieren sich die meisten neuen Gesundheits-, Fitness- und Wellness-Apps durch das Sammeln von Nutzerdaten, um diese für Werbezwecke zu verkaufen.
Für Anbieter digitaler Gesundheitsanwendungen in Deutschland sind Geschäfte mit Patientendaten also offenbar lukrativer als qualitativ hochwertige Apps, schlussfolgern die StudienautorInnen. Das dürfte in erster Linie an zu hohen Anforderungen für eine offizielle Zulassung als DiGA liegen.
Meist niedrige Qualität der Gesundheits-Apps
„Für viele App-Entwickler scheinen die Hürden für eine Erstattung durch die Krankenversicherung immer noch zu hoch zu sein, weswegen sie sich auf andere Geschäftsmodelle, wie die Nutzung von Daten zu Werbezwecken, fokussieren“, sagt Professor Simon Reif, Leiter der Forschungsgruppe „Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik“ am ZEW und Co-Autor der Studie. „Auffällig ist auch, dass die Anzahl an Apps, zu denen es wissenschaftliche Publikationen gibt, kaum gestiegen ist. Genau das wäre aber das Qualitätssignal, das sicherstellt, dass Gesundheits-Apps auch tatsächlich einen Mehrwert bieten.“
Aktuell enthält das offizielle DiGA-Verzeichnis 28 Web-Anwendungen und 43 App-Anwendungen. Für diese Apps erhalten die Anbieter teils hohe Beträge von den Krankenkassen. Zu Beginn des neuen Erstattungsmodells lag der Preis pro DiGA-Rezept bei mehr als 400 Euro. Aber auch später verlangten die meisten Anbieter noch mehr als 200 Euro pro Rezept.
Apps auf Rezept? Das ist in Deutschland seit 2020 möglich
sinCephalea
Fehlanreize durch Fast-Track-Zulassung?
Um Innovationen und die Digitale Medizin im Allgemeinen zu fördern, werden DiGAs aktuell schnell zugelassen, auch ohne abschließenden Wirkungsnachweis. Die eigentliche Überprüfung der Evidenz erfolgt im Nachgang. Die Autorinnen und Autoren der Studie sehen dieses Vorgehen kritisch, denn dies könnte ökonomische Fehlanreize setzen.
Weil DiGA-Anbieter ihre Preise in den ersten zwölf Monaten frei festlegen können, ohne dass diese in Relation zum Nutzen stehen müssen, entstehen laut ZEW Wettbewerbsverzerrungen. Zudem haben Anbieter ein Interesse daran, möglichst schnell ein Produkt auf den Markt zu bringen – selbst wenn es qualitativ noch nicht ausgereift ist.
Das Resultat: Ein unübersichtlicher Markt mit stark variierender Qualität. Für Ärztinnen und Ärzte bedeutet das einen erhöhten Aufwand bei der Auswahl passender Anwendungen und für Patientinnen und Patienten besteht die Gefahr, eine digitale Therapie zu erhalten, die wenig bringt.
Fazit: Mehr Qualität statt mehr Masse
Die Studienautorinnen und -autoren fordern, die Evidenzanforderungen für DiGAs zu erhöhen und das Vergütungsmodell zu überarbeiten. Nur wenn Qualität und Nutzen stärker in den Mittelpunkt rücken, kann das Potenzial digitaler Gesundheitsanwendungen langfristig ausgeschöpft werden.
Auch in der Versorgungspraxis zeigt sich: DiGAs funktionieren am besten dort, wo sie gezielt in ärztliche oder therapeutische Konzepte eingebunden sind. Eine App allein ersetzt keine Behandlung – aber sie kann sie sinnvoll ergänzen. Damit das gelingt, braucht es klare Qualitätskriterien, bessere Transparenz und eine stärkere Integration in die Versorgungsprozesse.
Titelbild: iStock.com/monkeybusinessimages
