Viele PatientInnen brechen Therapien ab oder nehmen Medikamente nicht regelmäßig ein. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einmal geschätzt, dass nur etwa die Hälfte der chronisch Erkrankten ihre Arzneimittel wie vorgesehen zu sich nimmt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft unterscheidet drei Gruppen: „Verweigerer“, die Medikamente bewusst nicht schlucken, „Vergessliche“, die durch Alltagsstress oder andere Hindernisse die Einnahme versäumen und „Kalkulierer“, die aus Angst vor Nebenwirkungen oder wegen fehlendem Krankheitsbewusstsein ihre Therapie abbrechen.
Viele Studien zeigen, dass das Verhalten von ÄrztInnen großen Einfluss auf PatientInnen hat. Durch gezielte Maßnahmen können sie die Therapietreue entscheidend fördern. Benutzte man hier früher den Begriff „Compliance“, der das passive Befolgen ärztlicher Anweisungen beschreibt, bevorzugt man heute das Wort „Adhärenz“, das die Mitwirkung der PatientInnen an gemeinsamen Therapiezielen betont.
Schon kleine Interventionen können viel bewirken. Wir stellen die besten Strategien vor.
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Patientenzentrierte Kommunikation: Gemeinsam Entscheidungen treffen
Je verständlicher und motivierender ÄrztInnen kommunizieren, desto größer ist die Therapietreue. Bei der sogenannten „Patientenzentrierten Kommunikation“ sprechen sie mit den Betroffenen auf Augenhöhe. Die PatientInnen sollen sich ernst genommen fühlen und aktiv an Entscheidungen und Behandlungszielen mitwirken („Shared Decision Making“). Die Bedürfnisse, Erwartungen und Gefühle des Patienten stehen im Vordergrund.
Eine einfühlsame Wortwahl („wir“ statt „ich“) und Fragen wie „Was wäre Ihnen wichtig?“ oder „Wollen wir das gemeinsam so versuchen?“ stärken das Vertrauen. PatientIinnen sollten jederzeit Fragen stellen und Bedenken äußern können, ohne Angst vor Vorwürfen zu haben. Wird der Therapieplan nicht richtig eingehalten, gilt es statt Schuldzuweisungen herauszufinden, wo die Schwierigkeiten liegen.
Aufklären und Verständnis sichern mit der „Teach-Back“-Methode
Manche PatientInnen haben Probleme die Therapie-Vorschriften zu verstehen – vor allem, wenn die Maßnahmen sehr komplex sind. Die „Teach-Back“-Methode hilft, zu prüfen, ob es Wissenslücken gibt. Die ÄrztInnen fordern die PatientInnen dabei auf zu wiederholen, wie sie die Therapie umsetzen („Können Sie mir in Ihren eigenen Worten sagen, wie Sie die Tabletten einnehmen werden?“). Studien zeigen, dass diese Fragetechnik Wissen und Selbstpflege verbessert und Wiedereinweisungen reduziert. Ergänzend können auch einfache schriftliche Materialien oder Piktogramme unterstützen.
Manchen PatientInnen fehlt es auch an Krankheitsbewusstsein, weil sie (noch) keine Beschwerden haben und deshalb keine Notwendigkeit für die Therapie sehen. Nutzen und Risiken des Nicht-Einhaltens der Therapie sollten deshalb schon vor Beginn klar und in verständlicher Sprache erklärt werden.
Realistische Therapiepläne individuell zuschneiden
Therapiepläne sind erfolgreicher, wenn ÄrztInnen sie für jeden Patienten individuell an Alltag, Beruf und familiäre Verpflichtungen anpassen. Die Einnahme von Medikamenten oder Änderungen im Lebensstil des Patienten, sollten für die jeweilige Person realistisch machbar sein, die Umsetzung in kleinen Schritten erfolgen.
Diabetes-PatientInnen profitieren zum Beispiel davon, wenn sie eine Ernährungsumstellung stufenweise angehen können – etwa, indem sie sich zunächst nur an ein zuckerarmes Frühstück gewöhnen oder erst einmal süße Getränke durch Wasser ersetzen. Haben sie sich daran gewöhnt, können sie die nächste Mahlzeit umstellen.
„Quick Wins“ steigern das Gefühl von Selbstwirksamkeit
Sichtbare kleine Erfolge und Zwischenziele motivieren PatientIinnen am Ball zu bleiben. Sogenannte „Quick Wins“ können ÄrztInnen über engmaschige Messungen, Blutzucker- oder Blutdruckwerte sowie digitale Tools oder Tagebücher sichtbar machen. Mit kurzen Feedbacks in regelmäßigen Gesprächen können sie die Fortschritte positiv verstärken („Das haben Sie schon geschafft!“). Dabei lässt sich sie die Aufmerksamkeit auf spürbare Veränderung wie gesteigerte Energie oder besserer Verdauung lenken. Eine Kombination aus objektivem Monitoring und persönlicher Rückmeldung steigert das Vertrauen in die Behandlung und fördert damit die Adhärenz.
Unterstützung durch Angehörige und andere Bezugspersonen fördern
Die Einbindung von Angehörigen kann Motivation und Behandlungsergebnisse deutlich verbessern. Vor allem bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herzinsuffizienz oder Adipositas können enge Bezugspersonen eine große Hilfe sein, indem sie an Medikamente erinnern, Mahlzeiten mitplanen oder zu Spaziergänge anregen. Auch bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Demenz spielt die Unterstützung von außen eine wichtige Rolle. Hier können neben Angehörigen auch PsychologInnen, Sozialdienste oder Selbsthilfegruppen zur Stabilität beitragen.
Wichtig bleibt jedoch, dass die Einbindung immer im Einklang mit den Wünschen der PatientInnen geschieht. Nur wenn ihre Autonomie und Selbstbestimmung respektiert werden, kann die Teilnahme nahestehender Personen an Arztgesprächen oder Therapieplanungen eine echte Hilfe sein.
Digitale Tools einbinden und Datenschutz thematisieren
Digitale Lösungen wie elektronische Medikationspläne können die Therapietreue bei Langzeittherapien spürbar verbessern. Eine niederländische Studie belegt, dass SMS-Erinnerungen, mobile Apps und telefonisches Feedback wirksam sind. Entscheidend für den Erfolg sei dabei nicht allein die Technik, sondern, dass PatientInnen gleichzeitig aktiv in ihr Therapiemanagement eingebunden werden.
Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch die Aufklärung über den Umgang mit persönlichen Daten. PatientInnen sollten darüber informiert werden, welche Informationen erhoben und wie und wo sie gespeichert und genutzt werden. Transparenz schafft Vertrauen – besonders bei älteren Menschen, die digitalen Angeboten oft skeptisch gegenüberstehen.
Von Beleidigungen bis zu aggressivem Verhalten – der Druck auf Ärztinnen und Ärzte nimmt zu. Doch dürfen sie PatientInnen einfach ablehnen? Und wenn ja, wann?
Mögliche unerwünschte Nebenwirkungen früh thematisieren
Manche Menschen nehmen aus Angst vor Nebenwirkungen ihre Tabletten nicht. Dabei kann es sich bereits um die Sorge vor einer Gewichtszunahme handeln. ÄrztInnen sollten solche Befürchtungen ernst nehmen und sie nicht herunterspielen. Statt zu sagen „Nehmen Sie die Tabletten einfach so, wie ich es sage“ ist es förderlicher, einfühlsam zu reagieren: „Das ist verständlich. Sollten Nebenwirkungen auftreten, melden Sie sich gleich, wir finden gemeinsam eine Lösung.“ So fühlen sich PatientInnen nicht allein.
Studien zeigen, dass ein proaktiver Umgang mit Nebenwirkungen die Therapietreue deutlich verbessert. PatientInnen bleiben länger in Behandlung, wenn ÄrztIinnen diese möglichst frühzeitig ansprechen und erklären, mit welchen Strategien diese sich im Falle des Falles bewältigen lassen. Regelmäßiges Monitoring – etwa durch Nachfragen, Telefon-Check-ins oder digitale Symptomtagebücher – macht es leichter, Medikamenten-Dosierung oder andere Maßnahmen frühzeitig anzupassen.
Kooperation und Empathie lohnen sich
Therapietreue zu fördern ist ein dynamischer, kooperativer Prozess, der von MedizinerInnen zusätzliche Aufmerksamkeit und Flexibilität verlangt. Ein Einsatz, der sich jedoch lohnt. Fehlende Therapietreue führt bei vielen Menschen zu einer allgemeinen Verschlechterung des Gesundheitszustands, mehr Komplikationen und steigenden Notaufnahmen. Hinzu kommen ökonomische Belastungen: Allein in Deutschland sollen durch mangelnde Therapietreue jährlich Kosten von 38 bis 75 Milliarden Euro entstehen.
ÄrztInnen können hier schon durch kleine Maßnahmen zur Adhärenz beitragen und so die Lebensqualität ihrer PatientInnen verbessern.
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